Die etwas andere MARKTWEINPROBE

GenussSpechte entdecken den Bremer Ratskeller

(HWG)

Manche Weinproben benötigen Jahre des Vorlaufs und der Vorbereitung. Die Idee für diese entstand 2016 bei einem Treffen der Gemeinschaft der Deutschsprachigen Weinbruderschaften (GDW), abends in der Weinbar, ein Ort wie geschaffen Geistesblitze. Genauer gesagt bei Gesprächen zwischen den Ruitenbergs und Karl-Josef Krötz, der „Herr der Weine von der Weser“, Ratskellermeister des Bremer Ratskellers. Er ist nun im (Un)-Ruhestand und hat sich die Zeit nehmen können, eine Weinprobe außerhalb des Ratskellers – das war die erste – durchzuführen.

Ein Wehrmutstropfen – als einzige zeitliche Möglichkeit stand der Freitag, 3.11. zur Verfügung. Alle Hochheimerinnen und Hochheimer wissen, was das bedeutet: Marktfreitag. Daher „Die etwas andere Marktweinprobe“.

Als Austragungsort bot sich das Hochheimer Weinbaumuseum an.

Um 15 Uhr trafen sich die Vorstände, Eheleute Hühn und Ruitenberg mit weiteren helfenden Händen für die Vorbereitung: Tische stellen, Beamer aufbauen und testen, Tische dekorieren, Gläser eindecken. Vereinsmitglied Rosel Zahn hatte ihren Garten geplündert und eine dekorative, festlich-herbstliche Deko gezaubert.

Zusätzlich zu den Museumsgläsern wollte Hendrik Ruitenberg für die hochwertigen Weine des Abends größere Gläser haben. Aufgrund des Marktgeschehens – die Winzer benötigen ihre Gläser selbst – ging er fremd und besorgte sie auf der „Ebsch Seit“ in Mainz Hechtsheim, da auch ein Wein von dort kam (dazu später mehr).

Pünktlich um 19:00 Uhr begrüßte Ruitenberg die anwesenden Vereinsmitglieder und zahlreichen Gäste. Als Ehrengäste anwesend waren Dirk und Petra Westedt mit einer Delegation von Gästen aus der Partnerstadt Kölleda, Wolfgang Narjes, Ehrenpräsident des GDW, Dr. Franz Werner Michel vom Domdechant Werner’schen Weingut in Hochheim sowie Marcus Clauß vom Weingut Zehe-Clauß in Mainz Hechtsheim (ja, die Gläser waren von dort).

Wolfgang Narjes ergriff das Wort, dankt für die Einladung und betonte die Grundidee des GDW – Förderung der Weinkultur sowie Austausch über Wein mit Weinbruderschaften und Vereinen anderer Abaugebiete. Die GenussSpechte hätten mit ihrem fulminanten Start – erst im Januar 2023 gegründet und schon fast 30 Mitglieder und ein Jahr voller interessanter Veranstaltungen – bewiesen, dass sie das Handwerk verstünden.

Der erste Wein war nicht aus dem Ratskellerbestand. Herr Krötz hatte Hendrik Ruitenberg gebeten, jeweils einen Spätburgunder und einen Silvaner aus der hiesigen Umgebung zur Vorbereitung des Gaumens auszuwählen. Der Spätburgunder kam aus dem Weingut Bott in Mainz-Kostheim, womit sich ein Kreis schließt, ist Bott doch der Kellermeister und Betriebsleiter des Domdechant Werner’schen Weinguts, seit über 30 Jahren, wie Dr. Michel betonte.

Karl-Josef Krötz ist Winzer von der Mosel mit Abschluss in Geisenheim und war von 1989 bis Januar 2023 Ratskellermeister im Bremer Ratskeller.

Während die von Hendrik Ruitenberg nach Vorgaben von Herrn Krötz angefertigte Bildpräsentation gezeigt wurde, erklärte dieser, was es mit dem Ratskeller auf sich hatte.

Bremen war bereits im Mittelalter ein wichtiger Umschlageplatz für Wein. 1342 wurde ein „Stadtweinkeller“ urkundlich erwähnt. Dieser zog 1405 in das Kellergewölbe des neu gebauten Ratshauses ein – das köstliche Fundament des Ratshauses wird er genannt. So manch ein Beschluss wurde seitdem nicht oben in den Rathaussälen, sondern eher in den unteren Etagen gefasst. Gerne wird auch mal ein Botschafter oder Politiker zur Auflockerung bei einem Glas Wein dort abgegeben, bevor es in Verhandlungen geht.

Bestrebungen mancher Bremer Weinimporteure, auch ausländische Weine in den Bestand aufzunehmen und den Ratskeller als Marketinginstrument zu nutzen, konnte Krötz erfolgreich konterkarieren und sogar 2004 die Aufnahme in das UNESCO Welterbe erreichen – als Weinarchiv für ausschließlich deutsche Weine. Über 1250 verschiedene Weine – vom Schoppenwein zum Spitzenerzeugnis – befinden sich dort, u.a. über 250 Trockenbeerenauslesen in der Schatzkammer sowie alte und sehr alte Jahrgänge. Im Apostelkeller liegen Weine aus dem 18. Jahrhundert! Ein Hochheimer von 1727, ein Johannisberger von 1783 sowie Rüdesheimer von 1748 bis 1784. Im Rosekeller liegt das berühmte Rosefass, in dem ein Rüdesheimer Wein von 1653 lagert.

Im Ratskeller werden Weinproben und Führungen angeboten und in den Räumen des Gastronomiebetriebs kann man typische Gerichte wie Labskaus, aber auch erlesene Menüs mit Weinbegleitung genießen sowie alle Arten von Feiern durchführen. Die Priölken (Bremer Wort), kleine Separees, wurden für so manches Geschäftsessen und Abschluss von Deals genutzt. Bremer Kaufleute üben sich im Understatement. Eines der Mottos könnte lauten „du sollst nicht protzen“. Sie sind daher eher geneigt, Sterneköche bei sich daheim kochen zu lassen, mit entsprechenden Zutaten und Weinen, als in einem Sternerestaurant gesehen zu werden.

Während der Verkostung [hier ist die Probenliste] von Großen Gewächsen (GG) aus Spätburgunder, Lemberger und einem Cuvée aus Cabernet und Merlot erklärte Krötz den aufmerksamen Probenteilnehmenden, wie er Weine auszuwählen pflegte: Er besuchte Winzer, Weinmessen und Gebietsverkostungen und ließ sich Weine, die ihm gefielen, nach Bremen schicken. Dort verkostete er sie erst gekühlt und ließ sie anschließend bei Zimmertemperatur stehen. Nur Weine, die nach dieser Standzeit noch genießbar waren, also weder flach noch fehltönig, hatten die Chance, in den Bestand aufgenommen zu werden.

Zur Vorbereitung des Gaumens auf die zu verkosteten Weißweine hatte Krötz um einen Silvaner gebeten und Ruitenbergs Wahl fiel auf den 2023 Blauer Silvaner Trocken, Edition MC, vom Weingut Zehe-Clauß in Mainz Hechtsheim. Marcus Clauß stellte den Wein selbst vor. Blauer Silvaner müsste eigentlich eher Roter Silvaner heißen, geht doch das Farbenspiel der Beeren bei der Reife ins Rötliche. Der Wein hat eine feine Frucht und dezente Säure und ist so beliebt bei den Kunden, dass die Anbaufläche im Weingut noch erweitert wird. Auch Herr Krötz war von diesem Wein sehr angetan.

Anschließend kam ein barriquegereiftes Silvaner GG aus Franken zur Verkostung, ein Riesling GG von der Nahe, einer Scheurebe, die auch GG-Qualität hat, einer 2015er Weißburgunder Auslese aus dem Barrique – vanilletönig und sehr extraktreich. Daran schloss sich ein Bremer Senatswein von der Mosel an, das feinherbe 2022er Erdener Treppchen. Bei der Senatslese muss mindestens ein Mitglied des Bremer Senats anwesend sein. Bei Erdarbeiten hat man an diesem Weinberg zwei römische Keltern gefunden, von 150 bzw. 300 Jahren nach Christus und zum Besichtigen hergerichtet. Zum Abschluss wurde es süß – eine Riesling Beerenauslese vom Bopparder Hamm, sowie die letzte Flasche (und mit einem winzigen Dosierer maßgeschneidert serviert, so dass jeder etwas im Glas hatte) eines 2006er Erdener Treppchen Riesling Beerenauslese, Bremer Ratskeller, Erden, Mosel-Saar-Ruwer, aus dem Privatbestand von Herrn Krötz.

Nach dem Schlusswort dankte Ruitenberg mit zwei Flaschen niederländischer Beerenauslese – ja, gibt es – und die Teilnehmenden mit einem langanhaltenden Applaus für diese lehrreiche Weinprobe mit echten Raritäten im Glas.